Alfred Bow, Donya Aalipour, Adrian Buschmann, Ina Aloisia Ebenberger, Katarina Spielmann, Nazim Ü Yilmaz, Daniel Richter
„Eine emanzipierte Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Erzählern und Übersetzern. „J. Ranciere
Erzählungen berichten über uns und die Welt. In Worten und auch in Bildern. In der Malerei vornehmlich durch entworfene Figuren und Figuren-Konstellationen und durch den ihnen malerisch gegebenen Kontext. Malerei bringt Leben auf Leinwand, sinnlich erfahrbar, unmittelbar.
Zeitgenössische Erzählungen sind voll unmittelbarer situativer und kontextueller Bedeutung, wie wir in großer Übersicht in Whitechapel’s Ausstellung „Radical Figures“ sehen konnten, zu der auch Arbeiten von Daniel Richter aus verschiedenen Perioden gehörten. Sie zeigen die „Konkretheit des konkreten Selbst in seiner unmittelbaren Gesellschaft“, wie Arthur C. Danto es beschreibt. Dies sei der Kern von den Erzählungen der Künstler unserer Zeit.
Maler erzählen uns, was sie sehen und wie sie es sehen, in der Welt, in der sie leben. Ihre Erzählungen laden ein, mitzuerleben, zu reflektieren sich auseinanderzusetzen. Darüber, wie wir uns sehen, verstehen, empfinden, in ihr agieren, auch wie wir gesehen, empfunden und verstanden werden möchten. Wie wir zu anderen stehen, uns zu anderen und unserer Umgebung in ein Verhältnis setzen. Welche Absichten wir verfolgen und welche Beziehung wir herstellen oder vermeiden möchten.
In unserer Ausstellung in Wien greifen Daniel Richter und Absolventen seiner Klasse an der Akademie der Künste Themen auf, die für sie relevant sind. Ihre Erzählungen sind immer persönlich, thematisch und stilistisch, sie sind keine Dokumentationen von Tatsachen, keine objektiven Repräsentationen von Realität. Sie sind geprägt von eigenen Wahrnehmungen, Eindrücken und Erfahrungen, Werten, Wünschen, Ambitionen und Ängsten. Von Vorstellungen, Allegorien oder Fantasien. Die Kunstgeschichte, der sie sich als Maler mutig und unbefangen annahmen, und die Polyphonie der Gegenwart erweiterten das Repertoire der Künstler. Themen können begründet sein in konkreten Erlebnissen und wurzeln in Archetypen, Mythen, Legenden, Literatur, Glauben, beeinflusst von Geschichte und Zeitgeist. All das kann – gestaltet – ineinanderfließen. Malerei kann, was Fotografie oder Dokumentarfilm nie kann und auch nie für sich beanspruchen würde.
Sind der bildenden Kunst heute noch Grenzen gesetzt? Die Antwort scheint zu lauten: Es gibt keine Grenzen. Und wenn sie gefordert werden, dann eher im Fall der narrativen/figurativen Malerei, allerdings mehr aus soziologischen oder ethischen Theorien heraus als aus ästhetischen. Narrative Malerei lebt durch stets neue Perspektiven und dauernde Grenzüberschreitung, durch die stetigen Entwürfe empfindungsgeladener Szenarien und so durch Angebote, Neues zu erkennen, neu zu erkennen. Sie kann Bilder als gefundenen Vorlage nehmen und malerisch in etwas anderes transformieren, sie kann dabei abstrakte, ikonografische, surrealistische Elemente in sich aufnehmen. Sie kann provokant, brutal, sinnlich, erotisch, komisch, absurd, symbolisch, zynisch sein. Sie entwickelt, in der Auseinandersetzung mit der Welt, ihre visuelle Vielsprachigkeit und hilft uns unsere Existenz tiefgründiger zu erfahren und zu verstehen.
Nachdem er seine Karriere mit abstrakten Gemälden begonnen hatte, wandte sich Daniel Richter, wie er in einem Interview sagte, der figurativen Malerei zu, um einen Bezug zur gesellschaftlichen Realität herzustellen, und brachte Elemente der abstrakten Malerei in diese figurativen Gemälde ein. Im Vergleich zu diesen figurativen Gemälden, in denen die Erzählung im Mittelpunkt steht, hat er in seinem jüngsten Werk erneut das Gleichgewicht zwischen abstrakter und figurativer Malerei durchbrochen und sich auf eine neue Erkundung mit mehr Abstraktion eingelassen. Seine Malerei befasst sich jedoch nach wie vor mit Themen, die in vielen Kulturen wichtig und ergreifend sind.
Wie Richter stoßen auch seine formalen Schüler einen globalen Diskurs über grundlegende existenzielle Fragen an: Wie entwickelt sich Individualität, wie fließend und vielfältig sind Identitäten? Wie verhält sich der Mensch zur Natur? Wie etabliert sich Herrschaft? Mit welchem Nutzen und mit welchen Kollateralschäden? Ist eine friedliche Koexistenz möglich? Wie inklusiv wollen wir als Gesellschaft sein? Was ist erstrebenswert, was ist wahr, gut und schön? Daniel Richters Bemühen um ein Gleichgewicht zwischen abstrakter und figurativer Malerei, sein Umgang mit der Farbe und seine Auseinandersetzung mit diesen gesellschaftlichen und politischen Fragen zeigen sich auch in den Arbeiten der von ihm ausgebildeten jüngeren Malergeneration, wie Alfred Bow, Adrian Buschmann, Donya Aalipour, Ina Aloisia Ebenberger, Katarina Spielmann, Nazim Ü Yilmaz.